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Forum 5 Selbsthilfe gestern – heute – morgen

Einleitung

"Wer will, dass sie SO bleibt, der will nicht, dass sie bleibt!"

 

Um SH überhaupt zu verstehen, stellen wir zunächst die historische Entwicklung kurz dar. 'Trunksucht' wurde mit dem Urteil des Bundessozial-Gerichtes 1968 als Krankheit im Sinne der RVO anerkannt. Die Anfänge der Suchtkrankenhilfe sind bei den traditionellen Abstinenzverbänden zu suchen.

Sie waren die Ersten, die sich um die Trinker und ihre Familien kümmerten. Bereits im 16. Jahrhundert gab es erste 'Mäßigkeitsvereine'- Ein Dogma dieser Verein lautete, dass die Mitglieder zu den Mahlzeiten nicht mehr als 7 Becher Wein trinken sollten. Mitte des vorigen JH begann die Psychiatrie das Phänomen der Suchtkrankheit wissenschaftlich zu erforschen.

Zeitgleich ging die Innere Mission daran, Trinker zu heilen und erste Trinkerheilstätten einzurichten. Dass nur die völlige Enthaltsamkeit vom Alkohol zur Befreiung von der Sucht führen kann, wussten hingegen die Männer und Frauen, die 1877 das Blaue Kreuz gründeten. Analog zum Blauen Kreuz entstand auf kath. Seite der Kreuzbund. Die Guttempler kamen 1889 aus Amerika nach Deutschland, um Suchtkrankenhilfe zu leisten.

Freundeskreise wurden 1956 ins Leben gerufen. Sie sind zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für SHG für Suchtkranke e.V. Region Heilbronn Franken  die jüngsten Verbände. Außerdem gibt es noch sogenannte freie Gruppen, die nicht verbandlich organisiert sind.

Wir werden in unserem Beitrag, das Eine oder Andere bewusst überzeichnen – nicht um anzugreifen oder Schuld zuzuweisen, sondern um schneller ans 'Eingemachte' zu kommen.

Wir wollen nicht mit sentimental verklärtem Blick in der Vergangenheit hängen bleiben, wir wollen uns den heutigen Erkenntnissen in Forschung und Wissenschaft nicht verschließen – wir wollen aber auch unsere Erfahrungen im Blick halten und sie nicht bedenkenlos dem Zeitgeist opfern – wir haben in unseren SH-Gemeinschaften Schätze im Laufe der erlebten Jahre und Selbstversuche anhäufen dürfen, die es gilt zu hüten


Das Gestern

Menschen mit stigmatisierendem Krankheitsbild des Alkoholismus schließen sich in Selbsthilfegruppen zusammen

Schutzräume, um mit anderen Betroffenen im Austausch zu sein       

Hauptamtliche unterstützen

Enger Schulterschluss Ehrenamt und Hauptamt  - Neuland für beide Seiten

In der Akzeptanz der Stärken und Besonderheiten und des  originären Auftrags des Andern war die Ergänzung möglich,               die den Betroffenen geholfen hat

Klare, konsequente Strukturen im Hilfesystem vermitteln Sicherheit

Der Weg der Behandlung war klar und das Ziel der endgültigen Abstinenz war klar und nicht verhandelbar.   PSB – SH -(warten auf Therapieplatz) – ein halbes Jahr Therapie - wieder Anbindung an die SH

der hilfesuchende Mensch steht ganzheitlich im Mittelpunkt öffentliches  Interesse am  Handlungsgeschehen ist gering das Erreichen einer abstinenten Lebensführung ist erklärtes Therapie-Ziel Angehörigen sind im Blick des Hilfe-Systems Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Aushalten, Erwartung entsprechen dem vorherrschenden Zeitgeist innerhalb der Gesellschaft

Das war übliche Haltung innerhalb der Gesellschaft – wir sind Kinder der Zeit und dementsprechend geprägt.

Wir wollen nicht im Gestern hängen bleiben, wir brauchen allerdings den Blick darauf, um das Heute zu verstehen

Das Heute

Nach wie vor kommen Alkoholkranke in die SH; es kommen weniger Angehörige 

Drogenkonsumenten, Mediensüchtige, Spieler und Andere kommen in den Gruppen an

Betroffene mit Doppeldiagnose sind fast die Regel

Wirtschaftliche Ausrichtung im Hilfesystem, führen zur Kürzung von Therapiezeiten und damit zu veränderten, reduzierten Therapie-Inhalten.         

Dies wirkt sich in unserer Gruppenarbeit entscheidend aus.

Die „Vorarbeit“, die für den Betroffenen und für das Miteinander in den Gruppen wichtig wäre, kann infolge der zeitlichen    Therapiezeitkürzung nicht mehr geleistet werden – fordert die Gruppen jedoch heftig heraus.

Die einst enge Bindung Ehrenamt – Hauptamt 'schwächelt'

Die Schnittstellen, die Übergänge von Beratungsstelle, SH, Kliniken und rückwärts sind nicht klar benannt und funktionieren schlecht  und müssen dringend neu definiert werde  …

eine Aussage bei einem Fachgespräch … 30 % kommen nach Reha-Aufenthalt in den Beratungsstellen an

Therapie-Angebote sind vielfältig und zum  Teil sehr ‘kundenorientiert’. Klare, zielführende Strukturen sind aus Sicht SH schlecht erkennbar

Manche Menschen brauchen auf dem Weg die wohlwollende Autorität, die für den Betroffenen denkt und es gut mit ihm meint (wir meinen, es wird oft zu sehr dem „Kundenwunsch“ entsprochen > Aufenthalt in der Tagesklinik wird dem  stat. Aufenthalt vorgezogen – die Therapiedauer wird vom Betroffenen oft als zu lang empfunden)

Ganzheitliche Ausrichtung des Therapie-Angebotes wird vermisst. Es geht vorrangig um die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit.

Angehörige von Suchtkranken werden von Teilen des Hilfe-Systems nicht mehr wahrgenommen

Unverbindlichkeit und die Neigung zum Fishing (Rosinen picken) ist spürbar

Das öffentliche Interesse am Thema Sucht  nimmt in letzter Zeit in den Medien zu.

Die geschilderten medialen Themen werden der Komplexität des Suchtgeschehens in keiner Weise gerecht.


 

Wie kommen Menschen in der Selbsthilfe an?

'Antherapiert' aus sehr verschiedenen Behandlungsprogrammen, mit unterschiedlich konsequenter Haltung

“Rückfall gehört zum Heilungsprozess” wirkt wie General-Absolution und öffnet Hintertüren

Rückfall kann durchaus zum Wachstumsprozess gehören, aber allein diese Aussage löst zunächst sehr unterschiedliche, unreflektierte Reaktionen aus – bei Familie / Angehörige panische Angst – bei dem noch wenig motivierten Betroffenen die laxe Haltung – wie viel Schuss hab ich noch frei – wie viel kann ich noch trinken

Orientierungslos – ziellos

Das Ziel ist nicht definiert – es ist vielfach nicht benannt, dass es ein Ziel gibt – nämlich die Abstinenz – Die Frage ist, ob es einfacher ist, auf dem Weg immer wieder ein nächstes erreichbares Ziel zu definieren oder eine Entscheidung zu treffen ein Ziel zu definieren und daran zu arbeiten, dieses Ziel zu erreichen. 

Zitat: Erst wenn etwas möglich erscheint, ist Entscheidung möglich

Die Gruppe kann helfen, diese Möglichkeit in den Bereich des Machbaren zu rücken!

Verunsichert, anerkennen selten ihren inneren Widerstand

Beispiel aus Erzählung der Betroffenen – erst nach 4 Monate Ringgenhof wurde klar, dass es nicht um meinem Therapeuten oder meine Frau … oder meinen Arbeitgeber geht ….. sondern es geht um mich ..und dann wurde mir die Zeit zu knapp …. und so motiviert und offen … man möchte fast sagen 'geöffnet' kamen die Menschen in der SH an …. dazu müssen heute die Menschen in der SH erst reifen um zu diesen Einsichten zu gelangen – das sind immense Herausforderungen an das Ehrenamt und stellt hohe Anforderungen an die Gruppe.

 

Fehlendes Erkennen auf eine grundlegende notwendige Veränderung – Abstinenz ist mehr als nüchtern zu sein – In passiver Erwartungshaltung

Leben ist mehr als Abstinenz

ist nicht unbedingt schlecht – zeigt sie doch, dass die Menschen, die in der SH ankommen etwas wollen.... aber sie wissen nicht, was sie sich im Selbstbedienungsladen holen wollen

Ich geh in den Laden –  ich weiß aber nicht was ich da soll und schon gar nicht, was ich will.


 

Was erwarten Neuankömmlinge von der Gruppe?

Die Erwartungen reichen von Nichts bis Alles

Ein Rezept, wie es geht .....  “wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ 

Wie kann ich kontrolliert trinken

Gib mir den Ratschlag, wie geht  'selbstbestimmtes' Leben

Wie lebe ich weiter, ohne den Makel der Sucht – “darüber reden wir jetzt nicht mehr!”

 

Was erwartet die Gruppe von den neuen Besuchern?

Dass sie sich einlassen - Angebote annehmen

Bereitschaft Eigenverantwortung zu übernehmen

Einsicht zu Veränderungen

Ehrliche Haltung gegenüber der eigenen Person 

 

Wozu lädt SH ein?

Nicht nur - Probleme und Sorgen zu teilen, sondern auch Erfolge und Gelingen zu teilen

Leben im Gesamten zu teilen

heißt – Leben ist mehr als Abstinenz, mehr als Erwerbsfähigkeit, mehr als Arbeit, mehr als Freizeit – mehr als………..              (alles was folgt ist austauschbar)

Einüben von wiederentdeckter sozialer Kompetenz und Möglichkeit der Lebensgestaltung

(Neue) Freunde finden, die mich verstehen

          für Drogenabhängige ein Muss 


 

Such Dir Deinen Platz hier und überall dort, wo dir weitergeholfen wird 

Fühl Dich o.k.

Du bist nicht allein – Du bist Teil von uns

Der Weg lohnt sich – Der Gewinn in der Abstinenz ist größer als der Verzicht

Die 'Gesundung' beschränkt sich nicht nur auf den Betroffenen, sondern zieht Kreise und schließt sein gesamtes soziales Umfeld mit ein 

… genauso wie die Zeit der Abwärtsspirale der Sucht das gesamte Umfeld einbezieht profitiert das gleiche System auch umgekehrt von dem Gesundungsprozess … ja es wirkt darüber hinaus und mündet in eigene Einsichten von Defiziten und Änderungswünschen und dem daraus resultierenden Handlungsbedarf

 

Wo liegen die Stärken der SH?

Aus dem Berichten der Gruppenteilnehmer nimmt sich jeder, was er für sich braucht

Beziehung und Freundschaft wird angeboten

Beziehungen wirken nachhaltig – sie sind auf Dauer angelegt

Begegnung auf Augenhöhe – nicht Berater und Klient sondern .... Freunde

Um Freunde kümmert man sich, denen „läuft man auch nach“ Freunde helfen sich – auch im Alltag,      z. B. beim Umzug.

 

Wo liegen die Grenzen der  SH?

Wir sind keine Therapeuten!!

Wir verweisen auf Fachleute, die helfen können.

Die Grenze ist auch dort erreicht, wo der Gruppenteilnehmer sich bewusst gegen unser Angebot entscheidet.

Wir „zwingen“ niemanden, am Glücklich-sein teilzunehmen


 

Wo liegen die Herausforderungen des Heute?

In der Tatsache, uns den veränderten Bedingungen zu stellen, sie ernst zu nehmen  und  uns dennoch treu zu bleiben

Im „Nicht-in-Frage stellen lassen“ dessen, was unser Überleben sichert

Wir stehen in dem permanenten Prozess: Altes zu erhalten und Neues zu gestalten

Im selbstbewussten Abgrenzung gegen .........

Im Anspruch, die Balance zu halten zwischen unserer Originalität und den Ansprüchen und den Verlockungen; es lockt, zu den „Großen“ zu gehören.

Nicht zu Dienstleistern / Handlungsgehilfen des Systems zu werden

Unsern Schatz zu hüten und gleichzeitig mit ihm zu „handeln“, indem wir auf die Herausforderungen des Heute eine Antwort finden, gestalten wir die Grundlage für das Morgen!

Unsern Schatz zu hüten, nicht indem wir unseren Schatzkisten-Deckel zumachen, sondern ihn weit öffnen

Auf die vielen Neuerung von außen in angemessener Weise zu reagieren heißt ihre Sinnhaftigkeit für unsere Belange zu prüfen und sie evtl. mit aufnehmen (in unsere Schatzkiste) oder Stellung zu beziehen

Stichworte : Kontrolliertes Trinken, Online-Beratung …. 


 

FAZIT:

Selbsthilfe lebt

Selbsthilfe darf sich ihre Unabhängigkeit bewahren

Selbsthilfe darf nicht unter den Druck wirtschaftlicher Interessen geraten

Selbsthilfe muss definierte Werte leben und diese in die Gesellschaft tragen

Selbsthilfe wirkt nachhaltig über Jahre hinweg

Selbsthilfe ist für viele die beste Medizin

Selbsthilfe ist die beste (Über-)Lebensversicherung

Die Voraussetzungen haben sich verändert – geblieben ist das Angebot der Suchtselbsthilfe, das Angebot von Freundschaft, von tragfähigen Beziehungen – langfristig – unbegrenzt. Grundlagen einer nachhaltigen Sicherung der Lebensqualität der von Sucht betroffenen Menschen!

Suchtselbsthilfe – unverzichtbarer Teil der Versorgungsstruktur!

 

 

Miteinander in Bewegung -

Das Morgen beginnt mit dem Gestern!

 

Hildegard Arnold / Ursel Biskup

Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe

Landesverband Württemberg e.V.

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