„Die Nachsorge beginnt mit dem Erstkontakt“
So fasst eine alte Freundeskreis-Weisheit das Engagement der Sucht-Selbsthilfe zusammen. Wer heute also hilfesuchend erste zaghafte Schritte in eine Selbsthilfegruppe wagt, könnte in einigen Jahren deren Leiter sein.
Doch was passiert zwischen Erstkontakt und Nachsorge? Einige kurze therapeutische Module geben dem Patienten Impulse zur Aufarbeitung seiner persönlichen Geschichte und Neugestaltung seines Alltags.
Wenn alle an der Reha Mitwirkenden erkennen und kommunizieren, dass ihr Beitrag nur EIN TEIL eines GRÖSSEREN GANZEN darstellt, haben wir die Weiterentwicklung der Reha und die Stärkung der Selbsthilfe wesentlich voran gebracht, zum Wohl der Betroffenen und ihrer Familien. Denn wo Auftrag und Beitrag der Hauptamtlichen enden, sind die Betroffenen herausgefordert, das Erlernte eigenverantwortlich im Alltag umzusetzen – und genau hier greift die Solidargemeinschaft Gleichgesinnter in der Selbsthilfe.
Die Leistungserbringer müssen erkennen, dass neben einer guten Kooperation aller Prozessbeteiligten die Wirksamkeit der Reha-Maßnahmen davon abhängt, dass JEDER Patient selbst etwas zum Gelingen beiträgt. Es ist daher Aufgabe der Fachdienste, den Patienten ihre Mitwirkungspflicht in aller Dringlichkeit deutlich zu machen.
Weitere Beiträge
Eine Stärkung der SH bedeutet, ...
- das Potential der Selbsthilfe neu zu entdecken und Begegnungen der Patienten mit der Selbsthilfe zu schaffen.
- die Begrenzung der Reha-Maßnahmen zu erkennen: Reha-Maßnahmen garantieren weder Gesundung noch langfristige Rentenversicherungsbeiträge, sie sind lediglich Anstoß und korrigierende Weichenstellung sowie Sprungbrett in eine notwendige Persönlichkeitsentwicklung.
- Investition in die Nachhaltigkeit von Reha-Maßnahmen:
- Wirkfaktoren seelischer und körperlicher Gesundung erarbeiten und zum Mittelpunkt der Diskussion machen.
- Patienten Zeit geben zur Entwicklung von Krankheitseinsicht und Reha-Motivation.Therapeutische Beziehung benötigt das „Herz“ der Spezialisten, sie müssen als Mensch erlebbar sein, um Patienten „im Herzen“ zu erreichen.
- Das Angebot der Beziehungskontinuität der Selbsthilfe als durchgängiges menschliches Fundament für die verschiedenen Reha-Phasen erkennen.
- Seelische und körperliche Gesundung erfordert zuallererst die Klärung zwischenmenschlicher Beziehungen und Altlasten (Prof. Bauer, Uniklinik Freiburg).
Bewusstseinsbildung
Eine Stärkung der Selbsthilfe erfordert die Entwicklung eines entsprechenden Bewusstseins bei allen Beteiligten:
- Von der Sucht betroffene Menschen können eine hohe Kompetenz erwerben, ihre Anliegen selbst zu vertreten und im Rahmen der Selbsthilfe umzusetzen. In der Folge verändert sich ihr gesamtes soziales Umfeld zum Positiven – auch im generationsübergreifenden Sinn.
- Kooperation mit der Selbsthilfe benötigt Beziehungsarbeit, Verbindlichkeit, Kontinuität, steten Informationsfluss und Transparenz bezüglich der jeweiligen Zielvorstellungen.
- Einführung des Grundsatzes „Selbsthilfe als Teil des Reha-Prozesses begreifen“: Entsprechend dem in der Sozialpsychiatrie entwickelten Prinzip des Trialogs kooperieren hauptamtlich und ehrenamtlich Tätige sowie die Patienten in allen Phasen des Reha-Prozesses miteinander.
Selbsthilfe
- Das Engagement der Selbsthilfe-Aktiven hilft zur Bewältigung eigener Probleme und Erkrankungen, eröffnet interessante Themen, fördert persönliche Begabungen, schafft Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, schafft bzw. stabilisiert soziale Netze, gibt Sinn und Lebensqualität.
- Längerfristige Selbsthilfe-Aktive ziehen aus ihrem Engagement einen hohen immateriellen Nutzen. Solange ihr Geben und Nehmen subjektiv im Gleichgewicht ist, engagieren sie sich weiterhin und bewältigen auch neue und schwierige Aufgabenstellungen.
Patienten
- Jeder Patient hat eine Eigenverantwortung im Sinn einer Mitwirkungspflicht sowie eine gesellschaftliche Mitverantwortung.
- Zu einer nachhaltigen seelischen und körperlichen Gesundung ist eine über die Reha-Maßnahme hinausgehende Persönlichkeitsentwicklung notwendig, welche in die Erkenntnis mündet, dass persönliche Probleme für diejenigen zu bewältigen sind, die sich entsprechend engagieren.
- Persönlichkeitsentwicklung benötigt gleichermaßen sanften Druck von außen (vgl. Physiotherapie) wie auch persönliche Entwicklungsräume (O-Ton eines Patienten: „Lange Zeit dachte ich ‚Was wollen diese Therapeuten bloß von mir?’ und dann wurde mir die Zeit zu kurz.“).
- Mitarbeit in der Selbsthilfe dient der Stärkung und Weiterentwicklung des persönlichen Potentials.
- Ältere Selbsthilfe-Mitarbeiter sind mit ihrer Lebens- und Selbsthilfe-Erfahrung eine wichtige Ressource für die Stabilität und Kontinuität der Arbeit der Selbsthilfeverbände.
Fachdienste/Therapeuten
- Ganzheitliche Gesundung ist nur soweit möglich, wie Patienten sich den Verletzungen und Defiziten ihrer Lebensgeschichte stellen. Diese Bereitschaft kann nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden.
- Ganzheitliche Gesundung benötigt eine feine Dosierung von Rückzugsräumen gegenüber vorgegebener sozialer Begegnung, in der die Fähigkeiten zu Kooperation und Konfliktbewältigung entwickelt werden und reifen können.
- Kooperation mit der Selbsthilfe benötigt den persönlichen Bezug zwischen Fachkräften und Selbsthilfe.
- Die Selbsthilfe benötigt wohlwollende fachliche Unterstützung im Sinne der „Hilfe zur Selbsthilfe“, um eigene Identität und Arbeitsformen entwickeln zu können.
- Jede Einrichtung benötigt einen Selbsthilfe-Beauftragten. Dieser muss ins therapeutische Gesamtkonzept eingebettet sein (versus Feigenblattfunktion).
- Die Selbsthilfe muss fester Bestandteil in der Aus- und Weiterbildung medizinisch und sozial tätiger Berufe werden.
- Der Therapeutenauftrag ist erst erfüllt, wenn die Patienten sich der Selbsthilfe anschließen und auf diese Weise ihren eigenverantwortlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit der Reha-Maßnahme leisten.
Kostenträger
- Kostenzusagen zu Reha-Maßnahmen sind mit Vorgaben zu verknüpfen, vgl. BfA-Schreiben 9/1994: Der Patient hat sich ... „zur Sicherung des Erfolges nach Abschluss der Behandlung zwecks Nachbetreuung einer Selbsthilfegruppe anzuschließen.“ Diese Vorgabe ist zeitlich zu definieren, ihre Einhaltung ist zu überprüfen.
Politik
- Die Selbsthilfe bringt etwas völlig Eigenständiges ins Reha-System ein: Persönliches Interesse, Identifikation, Reha-Erfahrung, Rückfallbewältigung, Innovation, gesellschaftliche Wärme, Spontaneität, Offenheit etc.
- Die Selbsthilfe ist integrierter Bestandteil des Sozialleistungssystems. Gleichzeitig ist sie weder wirtschaftlichen noch politischen Interessen verpflichtet. Ihre Aufgabe und ihre Stärke liegen in der Gruppenarbeit mit betroffenen Menschen. Wie und in welchem Maß sie sich ehrenamtlich engagiert, bleibt in der Entscheidung ihrer Mitarbeitenden.
- Die Selbsthilfe benötigt wirtschaftlich gesicherte Rahmenbedingungen, um sich auf ihren Auftrag konzentrieren zu können.
- Der Mitarbeiter-Nachwuchs der Selbsthilfe benötigt eine Selbsthilfe-Sozialisation und
-Verwurzelung, um die politische Betroffenenvertretung übernehmen zu können (z. B. in Kommunalen Suchthilfenetzwerken).
- Die Begrenzung des Selbsthilfe-Engagements liegt in der hohen beruflichen Beanspruchung der Ehrenamtlichen bei zunehmend geringerem beruflichen Spielraum, sich an Werktagen ehrenamtlich zu engagieren (Verbandsarbeit, Kooperation/Besprechungen mit Fachdiensten und Politik).
- Ehrenamtliches Engagement benötigt die politische Vorgabe, dass sie von Arbeitgeberseite unterstützt wird durch entsprechende Freistellungen wie bei Feuerwehr, THW, Schöffen, Schwerbehindertenvertreter u. ä.